Man kann die Uhr danach stellen. Nähern sich Unionsparteien und die FDP den Wahlterminen, ertönen laute Rufe nach Steuersenkungen und es heißt, der Staat würde den Bürgern das Geld aus der Tasche ziehen. Auf dem Dreikönigstreffen der FDP war es Guido Westerwelle, der gebetsmühlenartig wiederholte, dass es jetzt Steuersenkungen geben müsse, um den Konsum zu stärken.
Westerwelles Partei, die FDP, darf seit fast 11 Jahren in Deutschland nicht mehr mitregieren, davor war sie seit 29 Jahre lang ununterbrochen mit an der Regierung. Hört man den Chef der Partei parlieren – und das kann er ja durchaus – könnte man meinen, in den letzten zehn Jahren seien die Steuersätze gestiegen und zuvor stets gesunken – doch das Gegenteil ist richtig.
Als die Regierungszeit der FDP 1998 zu Ende ging, lag der Spitzensteuersatz bei 53%. Heute liegt er bei 42% allgemein und bei 45% für hohe Einkommen. Der Eingangssteuersatz beträgt heute 15% und wird ab einem Einkommen von rund 7700 Euro erhoben. Als die FDP noch regierte wurden 25,9% ab einem Einkommen von umgerechnet etwa 6200 Euro fällig. „Steuersenkungspartei“ waren FDP und CDU nur dort, wo Ihre Klientel betroffen war: Die Vermögenssteuer wurde nämlich ausgesetzt.
Auch die Belastungen der Arbeitnehmer durch Sozialabgaben waren 1998 höher, der Arbeitslosenbeitrag lag fast doppelt so hoch wie heute, der Rentenversicherungsbeitrag lag ein gutes Prozent höher. Lediglich die Beiträge zur Krankenversicherung waren 1998 für die meisten Versicherten niedriger als heute.
Trotzdem strahlt das Wort „Steuersenkung“ für erstaunlich viele Menschen eine Faszination aus, obwohl sie davon gar nichts hätten. Von gesenkten Steuern profitiert nämlich nur, wer nennenswert Steuern zahlt. Für Alleinerziehende, für durchschnittlich verdienende Familien, für Studierende, für Rentner bliebe im Geldbeutel nichts hängen. Im Gegenteil: Verzichtet der Staat darauf, sich ausreichend zu finanzieren, muss das Geld an anderer Stelle eingenommen werden. Ein gutes Beispiel dafür sind Studiengebühren, die ausschließlich in CDU-regierten Ländern erhoben werden.
Entsprechend nutzen Steuersenkungen vor allem denen, die gut verdienen, also mehr Steuern bezahlen. Das Hauptziel einer Steuersenkung, den Konsum zu stärken, wird aber so nicht erreicht, weil gerade bei solchen Haushalten die Sparquote steigen würde.
Die einzige Möglichkeit, gerecht zu entlasten, sind also Senkungen der Sozialabgaben, weil diese von allen entrichtet werden. Entsprechend ist es also sinnvoll, Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung stärker aus Steuereinnahmen und schwächer aus Beitragseinnahmen zu finanzieren. Sozialabgaben werden nämlich ab dem ersten Gehalts-Euro fällig. Sie zu senken, nutzt auch Rentnern, Kleinverdienern und Menschen, die aufgrund ihrer geringen Einkommen keine Steuern bezahlen müssen.
Dennis Buchner